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Heute ist („persisches“) Neujahr in Afghanistan – Naurus. Dort war das wie in vielen Ländern der Region immer einer der wichtigsten Feiertage. Familien besuchten sich gegenseitig; die Kinder bekamen neue Kleidung; auf den Märkten deckte man sich mit Blumen und Topfpflanzen ein, um nach dem Winter wieder die Gärten ins Blühen zu bringen. (Hier ein Artikel über afghanische Gärten und Gärtnerei.)

Seitdem die Taleban wieder an der Macht sind – seit zwei Jahren und über sieben Monaten – ist Naurus aber kein offizieller Feiertag mehr, sondern ein normaler Arbeitstag. 

Die von der Errichtung eines „reinen“ islamischem Systems besessene Taleban-Führer – aber auch andere Geistliche sowie salafistische Studenten – in Afghanistan schon vor ihrer Machtwiederergreifung – betrachten das Fest ob seiner vorislamischen (zoroastrischen) Wurzeln als „unislamisch“. Auch eine gewisse Ethnozentrie kommt bei dieser Ablehnung zum Ausdruck: Sowohl der Begriff Naurus („neuer Tag“, als der Beginn des neuen Jahres, diesmal 1403) als auch der entsprechende Sonnenkalender stammen aus der persischen Sprache und Kultur. Zu dieser kulturellen Großregion, die der 2021 verstorbene große österreichische Iranist Bert Fragner „Persophonie“ nannte (im Englischen wird davon der Begriff Persianate World abgeleitet) gehört aber auch Afghanistan – siehe dazu hier mein 2016er Reise-Essay „What Links Sarajevo to Kabul?“

Zudem ist auch das von den Taleban bevorzugte Pashto eine – zum Persischen (Farsi) unterschiedliche – iranische Sprache (siehe hier und hier). 

Zwar halten viele Menschen in Afghanistan auch jetzt die Naurus-Traditionen aufrecht [Nachtrag 21.3.: siehe auch dieser aktuelle Bericht von Hasht-e Sobh aus Masar-e Scharif und ein weiterer von Amu TV aus Kabul, vom Karte-je Sachi-Schrein.]. Dazu gehört, sich Töpfe mit neuem Grün als Symbol des neues Jahres und des Frühlingsbeginns hinzustellen und die „Sieben (Trocken-)Früchte“ – die haft mewa – zuzubereiten. Dazu besorgt man schwarze und braune Rosinen, Sendsched (die Frucht des Oleasters, auch Silberbeere oder Russische Olive genannt), zwei Arten getrockneter Aprikosen (in Dari: Keschta und Gholeng), Mandeln, Walnüsse und Pistazien und weicht sie ein bis zwei Tagen in Wasser ein. Daraus entsteht ein schmackhafter Sirup, der zu Naurus gereicht wird. Auch Goldfische spielen beim Naurus-Fest eine Rolle. (Ein Text meines Ex-Kollegen bei AAN, Reza Kazemi, zur Geschichte der Naurus hier.)

Aber ein ganzer Tag steht zumindest den Arbeitenden dafür nicht mehr zu Verfügung.

Sehr traurig bzw. empörend ist auch die Tatsache, dass der Naurus-Tag nicht nur ein Arbeitstag, sondern auch der erste Tag des neuen Schuljahres ist. Aber schon im dritten aufeinanderfolgenden Jahr untersagen die Taleban es weiter allen Mädchen jenseits des Grundschulalters, eine staatliche Schule bzw. Universität zu besuchen (mein Artikel zum gleichen Anlass 2023 hier). Koranschulen (Madrassas) für Mädchen hingegen werden gefördert und schießen wie Pilze aus dem Boden. In den meisten von ihnen wird nur eine rudimentäre, religionsgestützte Bildung vermittelt. Aber es gibt Ausnahmen, wie die etwa die ARD-Tagesschau berichtete.

Auch im Bildungssystem gibt es eine Ausnahme. Im Februar gaben die Taleban bekannt, dass es Abiturientinnen entsprechend einer Direktive des Gesundheitsministeriums erlaubt sei, sich für das neue akademische Jahr, das heute ebenfalls beginnt, an staatlichen medizinischen Instituten einzuschreiben.

Ein im Exil lebender afghanischer Analyst ergänzte, dass die Ausbildung von Mädchen in medizinischen Instituten in Afghanistan ununterbrochen fortgesetzt wurde, selbst als die Taleban die Schulen ab Klasse 6 und die Universitäten für Mädchen schlossen. Allerdings konnten Studentinnen seither nicht mehr als Ärztinnen abschließen, während Abschlüsse für Krankenschwestern und Hebammen sowohl an staatlichen als auch an privaten Instituten in den letzten zwei Jahren möglich war.

Zum Abschluss ein Vierzeiler des persischen Poeten Chaqani aus dem 10. Jahrhundert, mit dem AAN heute seine Leserinnen und Leser grüßt:

Der Frühling ist gekommen und das Glück wird erblühen

Mögen tausend Blumen alle Felder erobern

Möge der König des neuen Frühlings auf der Wiese herrschen

Denn sein Thron wird in der Erwartung geschaffen

Von oben: Frisches Grün, haft mewa und Goldfische zum Naurus. Fotos: Reza Kazemi/AAN (Grün, Goldfische) und Wikipedia unter CC BY-SA 4.0 internationale Lizenz (haft mewa).